Zwei Märzchen

Die kulturelle Reise der Mărțișoare

Der 1. März ist in Rumänien, Moldawien und in Teilen Bulgariens ein traditioneller Feiertag, der den Beginn des Frühlings markiert und mit verschiedenen Bräuchen und Traditionen verbunden ist. Eine ganz besondere Rolle spielen die Märzchen, oder wie sie bei den Einheimischen genannt werden: mărţişoare. Raluca fertigt diese Schmuckstücke an und erzählt uns mehr über sie und ihre Bedeutung.

März

Zwei Märzchen, mărţişoare

Rotbav auf der Europakarte

Datierung: 2023
Material: Baumwolle
Maße: 6x4cm, 5x4 cm
Herstellungsort: Rotbav (Rothbach), Rumänien
Sammlung: Privatbesitz

Foto: Lucia Szalay

„Das Mărțișor ist ein kleiner Schmuck, der an einer aus einem weißen und einem roten Faden geflochtenen Schnur befestigt ist. Die bekanntesten Glücksbringer sind das Schneeglöckchen, das Hufeisen und das vierblättrige Kleeblatt. Es wird jedes Jahr am 1.
März von Jungen an Mädchen, von Männern an Frauen verschenkt. Sie tragen die Glücksbringer den ganzen Monat. Danach wird es an den Zweigen eines Obstbaums befestigt, es soll Reichtum für die Haushalte bringen.

Es heißt, wenn man sich etwas wünscht, während man das Mărțișor an den Baum hängt, wird dieser Wunsch in Erfüllung
gehen. Übrigens ist das Wort Mărțișor die Verkleinerungsform von „marț“, dem alten volkstümlichen Namen für März und bedeutet wörtlich "Märzchen".
Zum Mărțișor gibt es auch ein Märchen. Es erzählt, wie die Sonne in Form eines schönen Mädchens auf die Erde kam. Doch ein "Zmeu" stahl sie und sperrte sie in seinem Palast ein. Da hörten die Vögel auf zu singen, die Kinder vergaßen Spiel und Fröhlichkeit, und die ganze Welt verfiel in Traurigkeit. Als ein tapferer junger Mann sah, was ohne die Sonne geschah, machte er sich auf den Weg zum Palast des "Zmeu", um das schöne Mädchen zu befreien. Er suchte ein Jahr lang nach dem Palast, und als er ihn fand, rief er den „Zmeu“ zum Kampf. Der junge Mann besiegte die Kreatur und befreite das Mädchen. Es stieg zurück
in den Himmel und die Sonne erleuchtete wieder die ganze Erde. Der Frühling kam, die Menschen gewannen ihre Fröhlichkeit zurück.
Die rote Farbe symbolisiert die Liebe zur Schönheit, erinnert an den Mut der Jugend, und das Weiß symbolisiert das Schneeglöckchen, die erste Blume des Frühlings. Für das rumänische Wort "zmeu" konnte ich keine richtige Übersetzung finden. Es bezieht sich auf eine Kreatur in unseren Volksmärchen. Ich habe vor kurzem mit dem Häkeln dieser Mărțișor begonnen, da ich von meiner Mutter für die Kunst des Häkelns inspiriert wurde. Für mich ist das eine Möglichkeit, diese Tradition mit der Kunst des Häkelns zu verbinden und weiterzuführen.
Mein erstes Mărțișor habe ich im Kindergartenalter bekommen. Normalerweise behalte ich die Mărţişoare, die ich von einem Jahr zum anderen bekomme.“

Märzchen

In Deutschland findet das Märzchen ebenfalls Anklang. Die Gemeinschaft der ehemaligen deutschsprachigen Minderheit aus Rumänien, insbesondere die Siebenbürger Sachsen und die Banater Schwaben, die infolge von Flucht, Freikauf oder Umsiedlung nach der rumänischen Revolution nach Deutschland kamen, bewahrt diese Tradition als lebendige Brücke zur alten Heimat. Ebenso pflegt die in Deutschland ansässige rumänische Gemeinde das Märzchen als ein kostbares Stück ihrer kulturellen Identität, ein Symbol der Verbindung mit ihren Wurzeln und Traditionen.

„Zu Frühlingsbeginn stiegen Vorfreude und Aufregung, was die sowieso schon heiß ersehnte Post betraf. Dann wurden die Briefe dicker und ich konnte im Umschlag kleine Unebenheiten ertasten, die mein junges Herz höherschlagen ließen. Ich wusste schon was mich darin erwartete, nämlich meist kleine Kärtchen an die eine aus rot-weißen Seidenfäden verzwirbelte Kordel mit einem Anhänger geheftet war. Noch von früher aus Temeswar kannte ich diese “Mărţişoare”, Glücksbringer, die wir uns als Kinder gegenseitig Anfang März geschenkt hatten, Symbole des Frühlings und der Wiedergeburt der Natur.“


„Jahrelang erreichten mich im Frühling solche Glück- und Segenswünsche, in einer Zeit in der nur die Korrespondenz die Bindung zu den Menschen in meinem Geburtsort aufrechterhielt, da persönliche Begegnungen nicht möglich waren. Sie trugen mich in einer Phase der Entwicklung und Neufindung in Deutschland." Rot und weiß, die Farben des “Mărțișors”, ursprünglich die Gegensätze Winter-Frühling, Blut-Schnee, Feuer-Wasser symbolisierend, wurden für mich ein Bindeglied zwischen der Vergangenheit in Rumänien und meiner Zukunft in Deutschland.“


Die letzten zwei Zitate stammen aus dem Blogbeitrag „Die rot-weiße Nabelschnur“ von Astrid Ziegler. In Rumänien geboren, siedelte sie 1980 als Kind mit den Eltern nach Deutschland über.


Die Traditionen und Praktiken rund um das Märzchen sind seit 2017 Teil des immateriellen Kulturerbes der UNESCO.