Kieselstein aus Mostar

Ein einfacher Stein, der von Hoffnung und Mut erzählt

Mut und Hoffnung in Zeiten von Krieg, Gewalt und Zerstörung sind essenziell, um den Glauben an das Leben nicht zu verlieren. Der 21. September als Internationaler Tag für Frieden steht
seit 1981 für Waffenstillstand und Gewaltlosigkeit. Wir brauchen die Erinnerung und die Geschichten, die aufmerksam machen und mahnen. Auch ein einfacher, fast unscheinbarer Kieselstein kann eine Geschichte über Krieg und Frieden, Mut und Hoffnung erzählen.

September

Kieselstein aus Mostar

Mostar auf der Europakarte

Datierung: in den 1980er Jahre gesammelt
Material: Dolomit
Maße: 4 x 3 cm
Fundort: Mostar, Bosnien und Herzegowina
Sammlung: Privatbesitz

Foto: Xaver Schneider

„Früher reiste ich oft durch das ehemalige Jugoslawien. Diesen Stein fand ich damals in Mostar, direkt unter der Brücke, die später im Krieg zerstört wurde. Ich packte ihn in meinen Rucksack und nahm ihn mit nach Hause. Ich vergaß aber, ihn auszupacken. Somit wurde er zum ständigen Begleiter auf meinen vielen weiteren Reisen. Jahre später, während des Bosnienkrieges, lernte ich eine junge Frau aus Mostar kennen, die unter lebensbedrohlichen Umständen ihre Heimat verlassen hatte und nun als Asylantin in Berlin lebte. Hier arbeitete sie als Bauzeichnerin so viel, dass sie mit dem Verdienst zunächst ihre Schwester und dann
ihre Eltern aus Jugoslawien herausschleusen konnte. Schon damals bewunderte ich ihre Tatkraft und positive Ausstrahlung, trotz der furchtbaren Erlebnisse. Eines Tages fiel mir wieder mein Stein aus Mostar ein. Ich leerte meinen Rucksack. Als sie den Stein sah, begann sie zu weinen: „Sie habe gar nichts mehr aus ihrer Heimat“. Ich schenkte ihr den Stein. Kurz nach Ende des Krieges kehrte sie als eine der ersten wieder zurück nach Mostar, um beim Wiederaufbau mitzuhelfen. Jahre später bekam ich einen Brief
von ihr – mit dem Stein als Dankeschön. Heute erinnert mich der Stein stets an ihre Kraft und ihren extremen Mut. Mir gibt er Kraft und Mut“ – der Stein und seine Geschichte stammen von Xaver.

Stari Most in Mostar, um 1903
Stari Most in Mostar nach dem Wiederaufbau

Die Alte Brücke um 1903 (Bild: Fortepan/76327) und nach dem Wiederaufbau (Bild: Stjepan Brešan)

Die Jugoslawienkriege in den 1990er Jahren waren die ersten blutigen Auseinandersetzungen in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Menschen und die Regionen im ehemaligen Jugoslawien haben viel Gewalt und Zerstörung erlebt. Auch die Stadt Mostar war im Bosnienkrieg von 1992 bis 1995 schwer umkämpft. Während der Belagerung wurden viele der Bewohner ermordet, viele mussten fliehen, um ihr Leben zu retten. Mostars Kirchen, Moscheen und Kulturdenkmäler wurden bombardiert, Symbole des
Glaubens und der Identität wurden zerstört. Das Wahrzeichen der Stadt – die Alte Brücke, Stari Most – wurde 1993 von Streitkräften der bosnischen Kroaten zertrümmert. Die Brücke, von den Osmanen im 16. Jahrhundert gebaut, war Teil des Weltkulturerbes. Sie galt als Verbindung zwischen Ost und West, als Symbol für das Zusammenleben von verschiedenen religiösen, kulturellen und ethnischen Gemeinden.


In Zusammenarbeit auf internationaler Ebene wurde die Brücke originalgetreu rekonstruiert. Dazu wurden Steine der zerschossenen Brücke aus dem Fluss Neretva geborgen und neue Steine aus dem gleichen Steinbruch, wie vor 400 Jahren, geschlagen.


Seit 2004 verbindet Stari Most, die alte Brücke, wieder die muslimische und christliche Hälften der geteilten Stadt über das smaragdgrüne Wasser des Flusses Neretva. Die Brücke ist nach wie vor Teil des UNESCO Weltkulturerbe und zieht viele Besucher an. Doch sie vermag die unterschiedliche Welten an den Ufern des Flusses nicht wirklich miteinander verbinden. Zwar ist die Stadt seit 2004 verwaltungstechnisch nicht mehr geteilt, doch es gibt eine starke Segregation, ein ethnisch getrenntes Schulsystem, eigenen Fußballklubs, einen getrennten Alltag. Das Leben in diesem dysfunktionalen Staat, in dieser immer noch geteilten Stadt, scheint für viele junge Leute perspektivlos. Sie verlassen das Land auf der Suche nach einer besseren Zukunft.


Auch diese Stadt braucht, wie so viele andere traumatisierte und vom Krieg zerstörte Gemeinden, Hoffnung und Mut. Vor allem aber viele Brückenbauer auf beiden Seiten des Ufers.